Eine Wärmflasche mit Flaschenwärmer?

Veröffentlicht von guenhol
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Die heute nur noch als nostalgisch anmutende Wärmflasche, den meisten Menschen evtl. noch als ovaler Bettwärmer aus Zinkblech aus Vorkriegsfertigung bekannt, wurde längst durch die moderne, flache und flexible Wärmflasche aus Plastik abgelöst. Sie dient nicht nur als Bettwärmer, auch als Fuß- oder Leibwärmer wird sie verwendet, insbesondere wird sie für Wärmetherapien in medizinischen Bereichen gerne verwendet.
Auch die heute schon als historisch angesehenen ovalen Wärmflaschen aus Kupfer und Zinn, wurden bis ins vergangene Jahrhundert noch für andere, heute allerdings in Vergessenheit geratene Zwecke, verwendet.

Vor einigen Jahren erwarb ich eine ovale Wärmflasche aus Kupfer, die eine runde Aussparung mit einem Durchmesser von 7 cm und eine Tiefe von ebenfalls 7 cm aufwies.
Die Verschlußgarnitur bestand aus massivem Messing, was auf eine Herstellung im 19. Jhdt. hindeutet.
Über den Zweck dieser Aussparung lagen lange Zeit keine Informationen vor. Ohne es genau zu wissen, vermutete man lange Zeit, das die zylindrische Mulde dazu diente Getränke warm zu halten.
Nur sehr selten findet man solche Wärmflaschen noch in Heimat- oder Medizinmuseen, über deren Bedeutung war auch dort bisher nichts bekannt.
Festgestellt werden konnte bisher lediglich, das diese Aussparung nur bei ovalen, im 19./20. Jhdt. hergestellten, ovalen Wärmflaschen aus Kupfer oder Zinn,
vorkommt.
Es gibt dabei Wärmflaschen mit einer und Wärmflaschen mit zwei Aussparungen - wozu das wohl gedient haben mag?
Vor einiger Zeit fand ich zufällig einen Hinweis zu einer im Schloss Moritzburg in Zeitz, Sachsen-Anhalt, befindlichen Wärmflasche.
Sie wurde als „Wärmflasche mit Ludelloch“ bezeichnet.
In der Beschreibung heißt es:
"Die ovale Wärmflasche (aus Zinn) mit Schraubverschluss und Messinghandhabe besitzt eine Aussparung zum Warmhalten einer Kindertrinkflasche, ein so genanntes Ludelloch."

Zu meiner großem Überraschung erhielt ich
vor einigen Tagen für meine Sammlung zwei dieser äußerst seltenen Wärmflaschen, eine aus Kupfer mit einem und eine aus Zinn mit zwei Ludellöchern!
Sie waren mir von einem älteren Ehepaar aus München geschenkt worden!
Die Zinn-Wärmflasche mit den zwei Ludellöchern hatten sie selbst einmal von einem Freund, einem Zwilling, geschenkt bekommen!

Kann es da noch einen eindeutigeren Beweis für die Authentizität dieser Wärmflasche geben?
 



Die Wärmflasche aus Kupfer ist unmarkiert, die Handhabe aus massivem Messing,
die Art der Verarbeitung deutet auf die Herstellungsperiode 19./20. Jhdt. hin.
Möglicherweise aus der Produktion der Fa. Kraussware aus Schwarzenberg in Thüringen, siehe hier:

Die Zinn-Wärmflasche weißt folgende Markierung auf:



Die Datierung von Gebrauchszinn ist nicht so ohne weiteres möglich. Wohl gibt es Nachschlagewerke in Buchform mit hunderten von Seiten, leider online nicht verfügbar - was die Identifizierung und Datierung erheblich erschwert.

Da wir nun die bisher unbekannte Bedeutung und die Bezeichnung kennen, die
Bezeichnung Ludel in unserem Sprachschatz nicht mehr vorkommt, will ich versuchen Herkunft und Wortbedeutung zu ergründen.

Da das Internet, im Gegensatz zum Beginn meiner Forschungen vor 20 Jahren, heute eine umfangreiche Bibliothek an Dokumenten, Lexika und Informationen bereit hält, gelang es in kurzer Zeit viele historische Daten zusammen zu tragen, die es ermöglichen eine detailierte Übersicht über die Entwicklung der Wärmflasche mit Ludelloch, sowie über die Entwicklung der zugehörigen Säuglingsflasche, zu erstellen.

Die Wärmflasche mit Ludelloch:
Wer diese Wärmflasche erfunden hat und wann sie erfunden wurde, darüber liegen keine verläßlichen Informationen vor. Das Ludelloch wurde, vermutlich auf besondere Anforderung, nur bei ovalen Wärmflaschen aus Kupfer oder Zinn, vorgesehen. Die wesentlich seltener heute noch zu findende Wärmflasche mit zwei Ludellöchern wurde vermutlich nur bei den auch seltener auftretenden Zwillingsgeburten  hergestellt.
Sowohl die Wärmflasche aus Kupfer, als auch die aus Zinn dürften noch handwerklich hergestellt worden sein. Die handwerkliche Herstellung der Zinn-Wärmflasche ist aus nachstehendem Beitrag ersichtlich:

Aus: 30 Werkstätten von Handwerkern. Nebst ihren hauptsächlichsten Werkzeugen und Fabrikaten.
Eßlingen am Neckar. Verlag von J. F. Schreiber. 2004

Handwerker-Darstellung: Tafel Nr. 8 aus einem Anschauungsbuch für Kinder: Der Zinngießer.

In der Mitte ein Bild von der Arbeit in der Werkstatt.
Auf dem Rand ringsrum Werkzeug bzw. Erzeugnisse der Handwerker.
Diese sind mit Ziffern bzw. Buchstaben versehen für den Text:



1-3.) Werkzeug zum Drehen;

4) Schraubstahl; 
5) Gusslöffel; 
6) Schabeisen; 
a) Bettflasche; 
b) ein großer Becher; 
c) Schüssel; 
d) Löffel; 
e) Leuchter; 
f) Klistierspritze; 
g) Aderlassschüssel oder Waschbecken; 
h) Vorlege- oder Suppenlöffel; 
i) Speiseteller; 
j) Kanne; 
k) Kelch

 

 


Die Herstellung von Gebrauchsgeschirr durch Zinngießer wurde am Anfang des 20. Jhdts. eingestellt.
Wer die Idee hatte eine Wärmflasche so herzurichten, das man damit die damalige (19./20. Jhdt.) Form der Säuglingsflasche erwärmen bzw. warmhalten konnte ist nicht belegt. Der einzige Hinweis auf die damalige Form findet sich in einem Bericht über  den "Hof ze Hennenbuol" unter: Merkwürdige Funde aus Haus und Feld, Die Ludel 2)




Die Ludel ist ein Glasfläschchen mit einem Schraubverschluss mit einem kleinen Loch.

Wurde für Säuglinge um 1800 im Schwarzwald hergestellt.
Der Metallsauger bestand aus Zinn, manchmal sogar mit Bleigehalt.


Der aus dem Bild abzuschätzende Durchmesser des Bodens (ca. 6,5 cm) und das Herstellungsjahr (1800) lassen die Annahme zu, das solche Säuglingsfläschchen in der Wärmflasche mit Ludelloch warm gehalten wurden.









Suchen wir nach weiteren Anzeichen für die Zeitperiode in der diese speziellen Wärmflaschen hergestellt worden sein könnten.
Spontan fällt einem da die der Industrialiiserung Europas ein.



Die Industrialisierung startete in Großbritannien in der zweiten Hälfte des 18. Jhr. Im ersten Drittel des 19. Jhr. erfasste die Industrialisierung Belgien, die Niederlande, Frankreich und die Schweiz. In der Mitte des Jhr. Wurde auch Deutschland erreicht, sowie im letzten Drittel des Jhr. Schweden, Italien, Russland und das übrige Europa. Der Motor der Wirtschaft war nun die industrielle Herstellung von Produkten. Ein weiterer wichtiger Punkt zum Siegeszug der Industrialisierung war die Liberalisierung der Handelsbeschränkungen. Waren konnten nun ohne Beschränkungen durch die Länder Europas geschickt werden. Der freie Weltmarkt wird ab 1850 Realität. Lediglich Russland und Österreich-Ungarn grenzen sich ab. In der Mitte des Jhr. Beginnt ein neues Stadium der Industrialisierung. Die Stahlherstellung wird zur Schlüsselindustrie. Schlüsselindustrie deshalb, weil das Zeitalter der Eisenbahnen begann. Es war nun wichtig die Waren schnell und kostengünstig transportieren zu können. Die Zeit des steigenden Wirtschaftswachstums brach im Jahre 1873 ein, als die „Große Depression“ begann. Bis zum Ersten Weltkrieg erholte sich die Wirtschaft langsam wieder. In der letzten Phase des Jhr. schlagen Deutschland und die USA, Großbritannien, in der Rolle der stärksten Wirtschaftsmächte. Als Energiequelle wurde nun Erdöl und Elektrizität genutzt. Die Landwirtschaft verlor stark an Bedeutung. Die Bevölkerung Europas wuchs explosionsartig seit der Mitte des 18. Jhr. an. Die Anzahl der Städte erhöhte sich rapide, sowie die Bildung von Ballungsräumen. In Großbritannien war diese Tendenz am stärksten vorzufinden.

 die die Ludel als eine altdeutsche Bezeichnung für eine Säuglingsflasche ausweisen.


Im "Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1854-1961" findet man für Ludel zwei Versionen, nämlich "der Ludel" und "die Ludel".

"ludel, f.
1) die weibliche brust, in der zusammensetzung milchludel:

in dein alten zurissen hudeln, das man schier sicht die millichludeln. (H. Sachs 1, 512a.)

2) ein trinkgeschirr saugender kinder, welches eine röhre mit einer warze hat, wodurch sie das getränk als wie aus der brust saugen.
Jacobsson 2, 640a: um dem kinde zu trinken zu geben, bedient man sich eines sogenannten saugfläschchens, auch ludel, nudelbüchse genannt.
Struve
über erziehung der kinder 1798 s. 106.
verächtlich auch die tabakspfeife.
Schm. 1, 1445 Fromm.

3) kärntnisch ludel kleine rinne bei einer quelle
Lexer
181; bair. ist die ludel aber ein tiefer ort im wasser; unreines wasser. Schm. a. a. o.

Das fem. ludel scheint eine ableitung vom unten folgenden verbum ludeln, und mit dem vorigen ludel in keinem näheren etymologischen zusammenhang zu stehen."



Die Ludel ist ein Glasfläschchen mit einem Schraubverschluss mit einem kleinen Loch.
Wurde für Säuglinge um 1800 im Schwarzwald hergestellt.
Der Metallsauger bestand aus Zinn, manchmal sogar mit Bleigehalt.
Die ganz vornehmen Leute hatten Silbersauger für ihre Säuglinge und die Mittelschicht Zinnsauger, während sich die armen Kinder mit einem Läppchen zum Saugen begnügen mussten.













Nach 1870 kamen aus Amerika die Sauger aus Gummi auf und ersetzten diejenigen aus Metall.


1857 findet sich in Pierer`s Universallexikon folgende kurze Beschreibung:
Ludel, Trinkgeschirr für ganz kleine Kinder, an dessen Seite eine Röhre ist, welche in eine Warze endigt, wodurch die Kinder die Milch aus dem Gefäß saugen.
1793, etwa 50 Jahre früher, wird im Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart ausführlich beschrieben:
Die Ludel, plur. die--n, ein nur im gemeinen Leben übliches Wort, ein Trinkgeschirr saugender Kinder zu bezeichnen, welches eine Röhre mit einer Warze hat, wodurch das Getränk, wie aus der Brust heraus ziehen; das Saugehorn, so fern es bey gemeinen Leuten ein Horn ist.
Von dem niedrigen ludeln, saugen, welches in den gemeinen in den Sprecharten auch lollen, lullen, lulken, lutscheln, nutscheln u. f.f. lautet.
In den niedrigen Sprecharten und im verächtlichen Verstande heißt auch eine Tobakspfeife eine Ludel.

Über das vorerwähnte Saugrohr steht geschrieben:

Das Saugehorn, des—es, plur. die – hörner, in einigen Gegenden, ein mit Milch gefülltes Horn, woran man die Kinder saugen läßt, wenn sie nicht von Menschen gesäuget werden können; in den niedrigen Sprecharten, eine Ludel.
Ein solches Gefäß von Glas heißt ein Saugeglas, und von Holz das Saugekännchen.

Die Wärmflasche mit Ludelloch, der Vorgänger des heutigen „Babykostwärmers“
Den jungen Müttern von heute ist nicht mehr bekannt, das ihre Ur- bzw. Großmütter die Milch für das Babyfläschchen in einer Wärmflasche mit Ludelloch oder, wenn keine vorhanden war, im Wasserbad erwärmten und warmhielten.
Schon seit den 1950er Jahren wird in einem modernen Haushalt der elektrische Babykostwärmer verwendet und löste damit die sowieso nur noch selten vorhandenen Wärmflaschen mit Ludelloch ab.
Zur interessante Begründung für die Verwendung der Wärmflasche mit Ludelloch fand ich in einem Beitrag des Museums Sybodo. Unter Medizinische Instrumente und Geräte der Krankenpflege findet man die Benutzung eines Flaschenwärmers folgende Erklärung:
"Wärmen, ja, aber wozu warmhalten: warum die warme Milch nicht gleich verfüttern? Dazu kann man sich vorstellen, dass die Milch in der Küche (Erdgeschoss, Untergeschoss) zubereitet wurde und in großen, feudalen Haushalten, etwa Schlössern - über mehrere Etagen, über hohe Treppen und endlose Korridore, von der Kinderfrau ins Säuglingszimmer getragen wurde. Um zu verhindern, dass die Milch auf diesem langen Transportweg allzu sehr auskühlte, steckte man die Flasche/n in den Flaschenwärmer ..."
Obwohl der Flaschenwärmer schon 1903 von Eduardo Penkala erfunden und in Budapest patentiert wurde, wurde er erst in den 1950er Jahren industriell hergestellt. Da mittlerweile alle Haushalte mit elektrischem Strom versorgt waren, wurden alle bisher manuell betriebenen Haushaltsgeräte elektrisch betrieben, so auch der elektrische Flaschenwärmer, viele Wärmflaschenmodelle, Kaffeemühlen u.s.w.
Babyfläschchen waren schon in der Antike bekannt!
Schon in der Antike waren die Babyfläschchen bekannt. Sie waren damals aus Ton und lediglich von der Form und der Funktionsweise mit den heutigen Fläschchen vergleichbar.



Quellenhinweise:

1)
 
30 Werkstätten von Handwerkern. Nebst ihren hauptsächlichsten Werkzeugen und Fabrikaten.
   J.F. Schreiber (Verleger) Eßlingen am Neckar, um 1835.
Anschauungsbuch für Kinder
2) Der Hof ze Hennenbuol, Einblick in das Haus und seine 1000-jährige Geschichte,

Gisela und Sepp Schnyder, 2004,  Merkwürdige Funde aus Haus und Feld, Die Ludel, Seite 135 =
 

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